Was Corona uns über die deutsche Bildungslandschaft lehrt

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von Nina Schröter

„Außerschulische Akteure können viel zur Stärkung von (digitalem) Engagement und politischer Beteiligung beitragen, zumal diese Aspekte in der Ausbildung der Lehrkräfte noch nicht hinreichend vorkommen.“

So heißt es im dritten Engagementbericht des Familienministeriums. Wie viel durchaus auch bittere Wahrheit in diesem Satz steckt, konnte man in diesem Frühjahr gut sehen:

Als im März die Schulen wegen Corona schließen mussten, hat es vermutlich niemanden wirklich überrascht, dass die deutschen Schulen nicht auf digitalen Unterricht vorbereitet waren. Wer seit Jahren die Digitalisierung verschläft, darf sich natürlich nicht wundern, wenn der Umstieg auf digitale Angebote nicht von heute auf morgen (und in den meisten Fällen nicht mal innerhalb von Monaten) funktioniert. Neben den Schulen sind auch viele außerschulische Angebote weggefallen.

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Events verschoben, Schulen geschlossen – so schob die Community den ersten Online-Hackathon an.

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Diese Leerstelle, die klassische Bildungsangebote hinterlassen haben, haben wir schnell gemerkt. Kurz nach der Schulschließung kam in der Community die Frage auf: „Es sitzen ja vermutlich gerade einige von uns zuhause, wollen wir nicht vielleicht ein Jugend hackt online organisieren?“ Auf die Initiative unserer Teilnehmer*innen hin haben wir daher noch Mitte März den ersten Online-Hackathon durchgeführt

Dabei sollte es nicht bleiben, schnell wurde klar, dass in diesem Jahr unsere regulären Angebote größtenteils nicht würden stattfinden können. Stattdessen haben wir also viel an digitalen Formaten ausprobiert. Der Umstieg ist uns vergleichsweise leicht gefallen. Das liegt vermutlich daran, dass wir alle wenig Berührungsängste hatten, Dinge einfach mal zu machen und zu gucken, was passiert (und auch daran, dass zumindest grundlegende digitale Kommunikation für uns alle zum Alltag gehört).

Zu einem mindestens ebenso großen Teil haben wir den leichten Umstieg aber unserer Community zu verdanken: Wir haben in erster Linie versucht, Angebote zu schaffen, bei denen die Jugendlichen sich selbst einbringen und ausprobieren können und die demnach nicht funktionieren würden ohne die vielen Ideen und Anregungen. Gemeinsam mit der Community Online-Hackathons zu organisieren und zu sehen, wie Teilnehmer*innen eigene Talkformate konzipieren und moderieren, hat uns auf jeden Fall über einige Durststrecken in diesem Jahr hinweg getröstet.

Denn natürlich bedauern wir es, in diesem Jahr kaum Präsenzveranstaltungen durchführen zu können. Der direkte Kontakt und Austausch mit der Community, die vielen lustigen, spannenden und herzerwärmenden Momente, die Jugend-hackt-Veranstaltungen mit sich bringen, sind durch Corona rarer geworden – aber nicht unmöglich. Wenn wir in einem Community Talk dabei zuhören, wie drei Teilnehmer*innen über Mentoring bei Jugend hackt sprechen und das am Ende klingt wie eine Dauerwerbesendung, dann kriegen wir auch vor unseren Monitoren im Home Office noch feuchte Augen. 

Wir wollen gar nicht zu sehr in die Kerbe „Die Krise als Chance begreifen“ schlagen. Wir hoffen auch darauf, dass bald Präsenzveranstaltungen wieder möglich sind. Trotzdem ist klar: Im digitalen Bildungsbereich ist in Deutschland Nachsitzen angesagt. Nicht nur, damit wir bei einer „zweiten Welle“ schneller reagieren können, sondern weil Digitalisierung für den Großteil der Menschen – und vor allem der Jugendlichen – in Deutschland einfach kein Neuland mehr ist und es daher nicht vertretbar ist, dass der Bildungsbereich so stark hinterherhinkt. Zu tun gibt es genug:

  • Digitale Bildung braucht mehr Priorität. Dazu zählt nicht nur die technische Ausstattung an Schulen, es braucht auch Konzepte und digitale Kompetenzen bei den Lehrkräften. Es mangelt in den Schulen an Tools und an Personen, die diese administrieren können. Es lohnt sich übrigens auch, hier von den Jugendlichen selbst zu lernen: Nicht nur in unserer Community sind beispielsweise viele Verbesserungsvorschläge an digitalen Lehrplattformen laut geworden. Einige Jugendliche haben auch ganz praktisch die Lehrkräfte an den Schulen unterstützt. Auch lokale Hackspaces vor Ort sind gute Ansprechpartner*innen hierfür. 
  • Es braucht dringend Antworten darauf, wie wir verhindern wollen, dass Jugendliche aus wirtschaftlich schwächeren Familien digital abgehängt werden. Der Digitalpakt Schule und das daraus geförderte Sofortprogramm können hierfür nur ein Anfang sein.
  • Wir sollten unser Bild vom Medienkonsum von Jugendlichen überdenken. Wir wollen alle gerne technisch gut ausgebildete und medienkompetente Fachkräfte, aber gleichzeitig wird es immer noch als höchst kritisch verhandelt, wenn Jugendliche viel Zeit „vor dem Rechner“ verbringen. Die wirklich spannende Frage ist aber eigentlich ja nicht, wie lange jemand vorm Rechner oder am Smartphone hängt, sondern was er*sie dort tut. Deswegen ist es uns auch so wichtig, nicht nur technische Skills zu vermitteln, sondern auch ethische und gesellschaftliche Fragestellungen damit zu verbinden und gemeinsam mit den Jugendlichen über gesellschaftliche Implikationen von Technik zu reflektieren.
  • Generell sollten wir unser Verständnis von Bildung hinterfragen. Es geht eben nicht mehr um  reine Wissensvermittlung. Vielmehr muss die Kompetenzvermittlung an erster Stelle stehen – nämlich um selbstbestimmtes Denken, kritisches Hinterfragen, kreative Suche nach Lösungen, Teamwork und das Erleben von Selbstwirksamkeit. Dafür müssen Lehrkräfte offen für zeitgemäßere Vermittlung von Lebenskompetenzen sein. Dies muss zu einem festen Bestandteil der Ausbildung von Lehrer*innen werden. Mit diesen Kompetenzen bei den Lehrer*innen und Schüler*innen gelingt auch der Unterricht remote besser.

Wir bei Jugend hackt arbeiten – wie viele außerschulische Angebote auch – seit 2013 daran, diese Punkte umzusetzen, Schwachstellen im Bildungsbereich aufzufangen und gemeinsam mit den Jugendlichen innovative und kreative Lösungen für eine bessere Welt zu finden. Um diese Arbeit weiter tun zu können, sind wir übrigens auf Spenden und auf Förderungen angewiesen – an langfristigen Förderprogrammen für bestehende Programme mangelt es momentan nämlich leider auch. Wer uns unterstützen möchte, findet weitere Informationen auf unserer Freundeskreis-Seite.

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